Ein Brief aus Japan
Wir, die wir uns mit dem traditionellen, japanischen Puppentheater beschäftigen, stellen uns unter ausländischem Puppentheater entweder Puppentheater nur für Kinder oder asiatisches religiöses Theater vor. Bisher konnten wir bei Gastspielen im Ausland oder bei internationalen Festivals (Charleville-Mézières usw.) kein Stück für Erwachsene sehen.
Frau Muriel Camus, die vom traditionellen, japanischen Puppenspiel fasziniert ist, und beim Awaji-Puppentheater unsere Technik lernte (vier mal, jeweils einen Monat lang), und Herr Ralf Wagner, der sich bei den Meistern Yura und Fujino im Bau von Puppenköpfen Kenntnisse aneignete, zeigten die Ergebnisse ihrer Ausbildung im Stück "Die Liebe einer Schlange".
Die Kulisse ist schlicht gestaltet und besteht aus einer von Schiebetüren eingerahmten Tokonoma aus Papier, einem Noren und Geländern. Sie sind Sinnbilder für die Erzählung in jeder Szene. Bei der ersten Begegnung der Hauptfiguren Toyo-o und Manago im Regen, entstehen Wasserwellen durch die auf die Papierrolle projizierten Regentropfen. Man assoziiert damit die anfängliche Macht des Wesens Managos, die sich im Inneren von Toyo-o langsam ausbreitet. Der Beginn der Liebe wird einfach dargestellt, in dem sich Manago kokettierend hinter den Noren versteckt und Toyo-o sie verfolgt. Die finstere Eifersucht von Manago, angedeutet durch die fließende Tuschfarbe am Rande des Overheadprojektors, nimmt sie schließlich ganz ein, als die Leinwand schwarz übermalt wird und zeichnet die ausweglose Situation von Toyo-o auf.
Die Erzählweise von Gunnar Helm war auch wunderbar. Während die eingespielte Musik eine expressive Narration liefert, erinnert die hell tönende Stimme des Erzählers an einen buddhistischen Mönch, obwohl wir Japaner sein Deutsch nicht verstehen konnten.
Reiner Anding erklärte, dass sie zwar japanisch aussehende Puppen in diesem klassischen, japanischen Stück verwenden, aber mit der europäischen Seele spielen. - Von einem Redner bei einem internationalen Symposium hörte ich, dass die Japaner ein Volk seien, das die besondere Fähigkeit besitzt, ausländische Sachen zu japanisieren. Das Puppentheater bildet da keine Ausnahme. In der Heain-Periode wurde die Technik des Puppenspiels aus China importiert. Das Shamisen gespielt mit einem Schlagkamm ist die veränderte Fassung des chinesischen Sangen ("Instrument mit drei Saiten"), dass in Okinawa zum Jamisen weiterentwickelt wurde. Die Kunstform Ningyô-Jôruri entstand aus der Mischung dieser musikalischen Tradition und der narrativen Kunst des Gidayû-bushi. In der Isolierung des Landes reifte dann das Ningyô-Jôruri zu einer eigenständigen Kunstform.
Entgegen Ihrem Statement, nicht japanischer als die Japaner spielen zu wollen, scheint mir genau das in Ihrer Aufführung gelungen zu sein; diese besondere Fähigkeit, sich fremden Kulturen entsprechend zu nähern und sich eigen zu machen, besser als die Japaner zu beherrschen.
Yû Umazume
Intendant des Awaji-Puppentheaters